- Kino während des Zweiten Weltkriegs: Krisen und Propaganda
- Kino während des Zweiten Weltkriegs: Krisen und Propaganda51939 war »Ich war ein Spion der Nazis« entstanden, nicht nur der erste amerikanische Spielfilm, der sich mit der Bedrohung durch den Nationalsozialismus beschäftigte, sondern auch ein frühes Dokument des politischen Engagements von Filmemigranten in Hollywood: In dem Film des gebürtigen Russen Anatole Litvak wirkten zahlreiche emigrierte Schauspieler mit. Auch die späteren Antinazi-Filme, deren Zahl nach dem Kriegseintritt der USA 1941 sprunghaft anstieg, waren oft Exilfilme, in denen die Opfer des NS-Regimes nun dessen Henker und Büttel spielen mussten.Hollywoods Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus fand meist im Rahmen des Genrekinos statt, in Gangster- und Spionagefilmen, aber auch in Melodramen. In »Casablanca« (1943) von Michael Curtiz bildet das Schicksal der verzweifelt auf ein Visum für die Vereinigten Staaten wartenden Flüchtlinge den aktuellen politischen Hintergrund für die Liebesgeschichte zwischen der Frau eines Widerstandskämpfers (Ingrid Bergman) und einem desillusionierten Amerikaner (Humphrey Bogart). Am Ende entdeckt Bogart nicht nur die Liebe zu Ingrid Bergman, sondern auch zu seinem Vaterland wieder. Seine Opferbereitschaft symbolisiert den Wandel der amerikanischen Außenpolitik von der Neutralität zu politischem und militärischem Engagement.Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten französische Filmkritiker in amerikanischen Filmen, die während der deutschen Okkupation nicht in die Kinos gelangt waren, einen neuen zynisch-düsteren Grundton. Für diesen Stil, der sich in Gangster-, Polizei- und Detektivfilmen sowie Melodramen manifestierte, prägten sie den Begriff »Film noir« (= schwarzer Film). Seither steht er für jene amerikanischen Filme der Vierziger- und frühen Fünfzigerjahre, die der pessimistischen Weltsicht einer in die Krise geratenen Gesellschaft mittels einer von der Lichtgebung geprägten Ästhetik Ausdruck verleihen. In der ersten Hälfte der Vierzigerjahre ist der Held des Film noir mit der Aufklärung von Gewalttaten beauftragt und wird im Laufe der Ermittlungen immer mehr in das Geschehen hineingezogen. Später wird der Protagonist zunehmend selbst zum Opfer: um Geld, eine Frau, sein Leben betrogen. In dieser Situation existenzieller Unsicherheit definiert sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau neu: Starke, selbstbewusste Frauen setzen ihre Attraktivität und Erotik kühl kalkulierend ein und stürzen damit die schwachen Männer - am Ende allerdings auch sich selbst - ins Verderben. Mann oder Frau: Der Film noir führt moralisch ambivalente, oft psychisch deformierte Charaktere vor.Im Film noir ist Wahrheit stets nur relativ; der Zuschauer erlebt das verhängnisvolle Geschehen aus subjektiver Perspektive: Häufig erzählt die Stimme des Helden aus dem Off die Geschichte in Form von Rückblenden. Die komplexe narrative Struktur entspricht der Desorientierung der Figuren; Schauplätze in urbanen Randzonen symbolisieren ihre inneren Zustände: Lagerschuppen, Fabrikgelände, Hinterhöfe, Sportarenen, Bars, Absteigen. Das kontrastreiche, in eine tiefenscharfe Fotografie eingebundene Spiel von Licht und Schatten wurde zur maßgeblichen ästhetischen Konvention des Film noir. Die Lichtgebung behandelt Figuren, Raum und Objekte gleichrangig und verdinglicht so die Personen. Streng geschiedene Bereiche von Hell und Dunkel strukturieren den Bildaufbau, staffeln den filmischen Raum. Es dominieren asymmetrische Arrangements und auffällige Diagonalen und Vertikalen, die der Komposition Spannung verleihen.Der Film noir war thematisch und ästhetisch nicht homogen: Während der Kriegszeit dominierte die Figur des romantischen Einzelgängers, der als Privatdetektiv, Auftragsmörder oder Polizist in Filmen wie »Die Spur des Falken« (1941) von John Huston, »Laura« (1944) von Otto Preminger, »Frau ohne Gewissen« (1944) von Billy Wilder, »Gilda« (1946) von Charles Vidor oder »Tote schlafen fest« (1946) von Howard Hawks auftrat. Nach Kriegsende wurde der Film noir nicht mehr ausschließlich in Ateliers, sondern auch an realen Schauplätzen gedreht. Aus dem Gegensatz zwischen authentischen Drehorten und stilisierender Lichtgebung bezogen diese Filme eine besondere Spannung.In den Mittelpunkt von Filmen wie »Im Kreuzfeuer« (1947) von Edward Dmytryk, »Der Todeskuss« (1947) von Henry Hathaway, »Schrei der Großstadt« (1948) von Robert Siodmak oder »Geheimagent T« (1948) von Anthony Mann rückten Polizisten und Verbrecher, aber auch Kriegsheimkehrer, die auf der vergeblichen Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft waren. In den Fünfzigerjahren waren die Protagonisten des Film noir neurotische Gangster, obsessive Polizisten und paranoide Reporter. Der Radikalität der Figuren entsprach die Ästhetik: Extreme Perspektiven und verkantete Einstellungen ließen die Welt in Filmen wie »Gefährliche Leidenschaft« (1950) von Joseph H. Lewis, »Reporter des Satans« (1951) von Billy Wilder, »Heißes Eisen« (1953) von Fritz Lang und »Rattennest« (1955) von Robert Aldrich buchstäblich aus den Fugen geraten. Mit der Präsidentschaft Eisenhowers änderte sich das soziokulturelle Klima in den USA und damit das Hollywood-Kino. Es propagierte nun das Bild eines mit sich selbst zufriedenen Landes.Im nationalsozialistischen Deutschland konnte das Propagandaministerium in alle Bereiche der Filmherstellung eingreifen. Der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, kümmerte sich persönlich sowohl um die Gesamtplanung als auch um Detailfragen der Produktionen. Die Selbstzensur der Branche, die nach wie vor marktwirtschaftlichen Prinzipien unterlag, machte in der Regel institutionelle Sanktionen überflüssig. Die politischen Interessen des Staates und die finanziellen der Firmen vertrugen sich reibungslos. Mit Kriegsbeginn nahm die Zahl der im staatlichen Auftrag produzierten Filme deutlich zu. Die Propaganda zielte vor allem auf die Verbreitung von Feindbildern. Antisemitische Filme wie »Jud Süß« (1940) von Veit Harlan und »Die Rothschilds« (1940) von Erich Waschneck bereiteten die nationalsozialistische Politik der systematischen Vernichtung aller Juden vor. Engländer, Franzosen, Linke, Demokraten und, je nach politischer Lage, auch Russen wurden diffamiert. Die Machthaber bemühten gern historische Vorbilder, um sich und ihre Ideologie bestätigen zu lassen, und so boten Spielfilme deutsche Helden als Identifikationsfiguren an: Friedrich der Große, Bismarck; auch Ärzte, Forscher, Wissenschaftler und Künstler dienten als Leitbilder. Gegen Ende des Krieges ließ das Regime »Durchhaltefilme« wie »Kolberg« (1943-45) von Veit Harlan produzieren. Mit historischen Beispielen appellierten sie an die Opferbereitschaft und den Kampfeswillen der deutschen Bevölkerung.Aber auch während der Kriegszeit bestand das Gros der Produktionen aus Unterhaltungsfilmen. Die meisten propagierten Werte wie Patriotismus, Familiensinn und Disziplin und bestätigten tradierte Geschlechterrollen und Autoritätshierarchien. Trotz der staatlichen Kontrolle - 1942 war die Verstaatlichung der Filmindustrie abgeschlossen - blieben Freiräume, die in manchen Filmen zur ästhetischen Opposition genutzt wurden. Neben aufwendig produzierten Melodramen mit den Stars Zarah Leander, Kristina Söderbaum und Brigitte Horney war leichte, heitere Kost populär. Komödien und Revuefilme boten Zerstreuung und illusionistische Ablenkung und verfügten über ein reichliches Maß der von Goebbels als kriegswichtig deklarierten guten Laune. In Österreich, das bis zur Annexion durch die Nationalsozialisten 1938 ein wichtiges Exilland für die aus Deutschland geflüchteten Emigranten war, produzierte die Firma Wien-Film vor allem Filme, in denen Musik, Gesang und Tanz dominierten und die der Sehnsucht nach einer heilen, operettenseligen Vergangenheit Ausdruck gaben.Viele der in Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs produzierten Filme hatten dokumentarischen Charakter. Sie thematisierten entweder die militärischen Konflikte oder würdigten die Beiträge der Heimatfront - von Frauen, Kindern, Alten, Kranken - und stärkten somit die nationale Solidarität. Der Übergang vom Dokumentar- zum Spielfilm war fließend, einige Regisseure wie Harry Watt oder Alberto Cavalcanti inszenierten in beiden Gattungen.Zu den herausragenden Filmemachern der Vierzigerjahre zählen der Regisseur Michael Powell und sein Drehbuchautor Emeric Pressburger, ein gebürtiger Ungar und Emigrant des Nationalsozialismus. Ihre Zusammenarbeit begann 1939 mit dem antideutschen Spionagefilm »Der Spion in Schwarz«. 1942 gründeten sie eine eigene Produktionsfirma, »The Archers«. Bis Mitte der Fünfzigerjahre drehten sie in schneller Folge fantasievoll-ironische, durch ihre Farbdramaturgie bestechende Filme, darunter »Leben und Sterben des Colonel Blimp« (1943), »Irrtum im Jenseits« (1946), »Die schwarze Narzisse« (1947), der Ballettfilm »Die roten Schuhe« (1948) und der Operettenfilm »Hoffmanns Erzählungen« (1951). Nach der Trennung von Pressburger inszenierte Michael Powell 1960 »Augen der Angst«, die Studie eines voyeuristisch-psychopathischen Frauenmörders, der den Tod seiner Opfer filmt. Von der zeitgenössischen Kritik verrissen, wurde der Film in den Siebzigerjahren als Studie über das Filmemachen neu bewertet.Dr. Daniela Sannwald und Robert MüllerFilmklassiker. Beschreibungen und Kommentare, herausgegeben von Thomas Koebner. 4 Bände. Sonderausgabe Stuttgart 21998.Geschichte des internationalen Films, herausgegeben von Geoffrey Nowell-Smith. Aus dem Englischen. Stuttgart u. a. 1998.Kreimeier, Klaus: Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns. Taschenbuchausgabe München 1995.Lexikon des internationalen Films. Das komplette Angebot in Kino, Fernsehen und auf Video, begründet von Klaus Brüne. Bearbeitet von Horst Peter Koll. 10 Bände. Neuausgabe Reinbek 1995.Reisz, Karel und Millar, Gavin: Geschichte und Technik der Filmmontage. Aus dem Englischen. München1988.Sachlexikon Film, herausgegeben von Rainer Rother. Reinbek 1997.
Universal-Lexikon. 2012.